Designer aus Ungarn – Teil 37
Éva Várhegyi und ihre Hüte
„Ein Metier, das ausstirbt“
Einige Minuten vom Jászai Mari tér
entfernt, liegt in der Hollán Ern? utca am Ende einer kurzen Treppe seit 1969
der kleine Laden der Modistin Éva Várhegyi. In dem kleinen, aber hellen und
warmen Raum sind in Regalen und Schränken, an Wänden und auf einem Tisch
klassische und moderne Hüte, mit oder ohne Schleier, schillernde Haargestecke
und Mützen in allen Farben und Formen zu finden.
Die Modistin
Éva Várhegyi öffnet mit einem Lächeln die Gittertür ihres Geschäftes und
schenkt der BUDAPESTER ZEITUNG eine Stunde ihrer Zeit, noch bevor der Laden
öffnet. Nachdem sie ein paar Entwürfe für Márta Markány (Designerin –
Anm.d.Red.) weggeräumt hat, leert sich ein bequemer Stuhl neben Ständern mit
Mützen und Hüten und einem Tisch mit weiteren Kreationen.
![]() |
Bilder: Aaron Taylor |
Berufswahl durch Zufall
Der Weg zur
Hutmacherin sei für sie nicht vorbestimmt gewesen, erzählt Várhegyi. Nach ihrem
Schulabschluss wäre sie etwas perspektivlos gewesen, nicht sicher, was sie mit
ihrem Leben anfangen wolle. Dann sei sie durch ihre damals beste Freundin,
deren Eltern und eine Urlaubsbekanntschaft mehr oder weniger per Zufall zu
diesem Beruf gekommen. Der Lehrberuf reizte Várhegyi jedoch anfangs wenig.
Obwohl sie bei der besten Modistin ihrer Zeit, Irén Fürst, lernte, entwickelte
sie erst später Interesse daran. „Ich hatte großes Glück, bei ihr eine Lehre zu
machen“, sagt sie heute. Als sie noch jung gewesen sei, habe sie das nicht so
empfunden, meint sie kopfschüttelnd.
Irrungen und Geschichte
Sie vergab
die Chance, den Laden von Irén Fürst zu übernehmen und fing nach ihrer Lehrzeit
an, bei einem staatlichen Betrieb zu arbeiten. Nach einer Weile entwickelte sie
Interesse für ihr Fach, stellte aber fest, dass durch die Herstellung nach
Vorgabe zu wenig Zeit für Einzelstücke übrigblieb. Auch ihre Arbeit in der Oper
ließ zu wünschen übrig. Also entschloss sich Várhegyi nach einigen Jahren dazu,
ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Dafür benötigte sie noch eine Meisterprüfung,
die sie 1968 bestand. Mit Bedauern meint die Modistin, dass dies heute leider
nicht mehr nötig sei.
Zu dieser Zeit gab es in Budapest noch 50 bis 60
eigenständige Hutmacher, Modisten und Mützenhersteller. Alle drei Fachbereiche
waren damals noch getrennt: der Hutmacher kümmerte sich um die Herrenwelt, die
Putzmacher oder Modisten stellten Modelle für Frauen her und der Mützenmacher
kreierte Kopfbedeckungen, die eben nicht fest, sondern weich waren. „Heute gibt
es etwa fünf bis zehn Läden, die noch selber herstellen und das Fach auch
wirklich beherrschen“, erklärt Várhegyi und fügt seufzend hinzu, dass ihr Beruf
vom Aussterben bedroht sei.
Probleme gäbe
es schon bei den Holzformen, über denen die Hüte mit Hilfe von Dampf geformt
werden. Auch ein eigenständiger Beruf, der in Ungarn inzwischen nicht mehr
existiert. In Westeuropa gibt es noch ein paar Firmen, die sich damit
beschäftigen. Várhegyi versucht es jetzt mit einem Holzbildhauer. Aber das sei
kompliziert. Einige Formen habe sie von einer Werkstatt übernehmen können, die
früher Hüte für sie vorgeformt habe, heute kümmere sie sich eben selbst darum.
Hüte sind beständig
Bei ihren
Kollektionen, die mit dem Wetter wechselten, im Sommer eher Leinen- und
Strohhüte, im Winter die wärmeren Pelz- und Filzkreationen, ändere sich von
Jahr zu Jahr nicht allzu viel. Das läge auch daran, dass Hutmode sich nicht so
sehr wandle. „Wie Coco Chanel einmal sagte: ‘Mode verändert sich, der Stil
nicht’“, meint Várhegyi lächelnd und erklärt, dass Hüte immer zur
Persönlichkeit passen müssen. Es gäbe für Jedermann den passenden, man müsse
nur Geduld haben, ihn zu finden. Natürlich hätten die klassischen Modelle auch
immer ein paar moderne Stilnoten, aber revolutionäre Veränderungen gäbe es
nicht. Für ihre Stammkunden müsse die Putzmacherin jedoch immer wieder neue
Kreationen herstellen, da diese die anderen Modelle schon kennen oder besitzen.
Die meisten
Hüte, die sie verkauft, gehen an ungarische Kunden, die sie bereits kennen und
wissen wo sie ihren Laden hat. Auch gehörten zu ihrer Kundschaft viele Ungarn,
die ausgewandert seien und regelmäßig zurückkehrten. Várhegyi erzählt auch,
dass sie immer wieder mit ungarischen Designern zusammenarbeite, die für ihre
Kollektionen Kopfbedeckungen bestellten. Hüte, die handgemacht und auf den
Kopfumfang zugeschnitten sind sowie nach individuellen Vorstellungen
entstünden, sind inzwischen schon etwas ganz Besonderes und das wüssten ihre
Käufer auch zu schätzen.
Ihre Kollektionen stelle sie im Durchschnittsmaß her,
jedoch könne man diese immer noch etwas vergrößern oder verkleinern. Die
meisten Käufer wollten jedoch Einzelanfertigungen, mit einem bestimmten Stoff,
in einer konkreten Farbe und oft auch zu einem besonderen Anlass. Im Sommer
stelle sie viel für Hochzeitsgesellschaften her, wo die Hüte zur Kleidung
passen müssen, inzwischen gäbe es aber auch Gartenpartys, bei denen Hutpflicht
bestehe und natürlich Pferderennen. Im Winter stehen dann die Haargestecke für
Bälle hoch im Kurs.
Wenn ein Hut entstehe, müsse er vom Kunden mehrmals
anprobiert werden, ähnlich wie bei Kleidung, erklärt Várhegyi. Sie fügt hinzu,
dass sie sich nach vielen Gesprächen mit den Kunden nicht selten sogar wie ein
Mitglied der Familie fühle. Die Grundmaterialien für die Kopfbedeckungen seien
Seide, Samt, Wolle, Hasenfell, Stroh, Leinen und Leder. Die Dekorationen
bestanden früher oft aus Pferdehaar, heute werden sie durch Kunstfasern
ersetzt.
Ihre Zukunft
sieht die Modistin an der Seite einer jungen, talentierten Mitarbeiterin. Bald
werde auch ihre Webseite online gehen, wo es regelmäßig Bilder von ihren
Kreationen geben werde. Da die junge Nachfolgerin auch einige Fremdsprachen
fließend spreche, sei die Möglichkeit gegeben, auch einen internationalen
Kundenkreis anzuziehen. Außerdem will sich Várhegyi auch weiterbilden, mit
neuen Techniken arbeiten und das Grundmaterial und die Dekorationen für
ihre Hüte selbst herstellen.
Liebe zum Beruf
Durch den
Kontakt mit den Kunden und die Herausforderung, die ihr durch jede neue
Bestellung gestellt wird, hat Várhegyi sich letztlich doch noch in ihren Beruf
verliebt. Inzwischen würde sie nichts anderes lieber tun. Sie bedauert jedoch,
dass es immer weniger junge Menschen gebe, die sich für die Hutmacherei
interessieren und dieses Fach ergreifen. „Hüte gehören zu den Menschen. Ohne
sie wird unsere Kleidung, ja die Welt, um etwas Wichtiges ärmer“, meint sie.
Sie sieht aber noch einen Hoffnungsschimmer: Immer mehr junge Menschen trügen
heute Kopfbedeckungen. Es habe wahrscheinlich etwas mit Nostalgie zu tun, für
viele sei das Tragen von Hüten auch mit Weiblichkeit verbunden.
Ines Gruber
Várhegyi Éva kalapszalonja
Tel.: +36 1 320 5520
XIII. Hollán Ernő utca 9
www.varhegyieva.hu
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr
Samstag 10 bis 13 Uhr
Erschienen in
der Budapester Zeitung Nr. 47, vom 18.-24. November 2011
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen