Sonntag, 13. Oktober 2013

Manier Haute Couture


Designer aus Ungarn – Teil 1
Anikó Németh, Gründerin von Manier Haute Couture
„Design für alle“

„Irgendwo zwischen Kultur und Wirtschaft steht das Design“ erklärt Anikó Németh, Gründerin des ungarischen Modelabels Manier Haute Couture gleich zu Beginn des Gesprächs mit der BUDAPESTER ZEITUNG und erzählt im Anschluss über Haute Couture, tragbare Mode und die Zukunft der ungarischen Modewelt.

Wie wird man Designer?
Ich habe ursprünglich Innenarchitektur studiert und kam dann eher zufällig zu Kleidern. Erstens konnte ich gut davon leben. Es gab damals einen Mangel an Bekleidung und dafür wollten die Menschen eher Geld aus- geben als für ihre Wohnung. Zweitens war mir die Beziehung zu den Menschen, für den ich etwas erschaffe, sehr wichtig. Ich wollte nie als Innenarchitektin einfach am Reißbrett etwas planen, worauf ich dann später keinen Einfluss mehr gehabt hätte. Beim Entwerfen von Kleidung habe ich größere Freiheit und kann damit besser auf denjenigen eingehen, für den ich plane.

Es gibt also eine Verbindung zwischen Innenarchitektur und Kleidung?
Für mich schon. Denn beides hängt mit den Menschen zusammen, die darin leben, die damit verbunden sind. Auch die Stadt, der Stadtteil und die Wohnung ist ein Raum, den die Menschen, die sich darin be- wegen, ihren Bedürfnissen anpassen. Kleidung ist für mich der kleinste Raum um einen Menschen herum, den er ganz individuell an seine Persönlichkeit anpassen kann, worauf er selbst den größten Einfluss hat und womit er sich auch am besten aus- drücken kann. Außerdem geht man dabei auch ein geringeres Risiko ein, weil es ein kleineres Projekt nur für sich ganz allein ist.

Haben Sie ein Vorbild, das Sie besonders beeinflusst hat?
Ich bewundere Frida Kahlo sehr, ihre Persönlichkeit und ihre Lebensgeschichte, und auch Gaudí. Also wie- der die Verbindung von Architektur und Kleidung. Und natürlich hatten Jean-Paul Gaultier, Vivienne Westwood, John Galliano und noch einige mehr Einfluss auf mich. Aber eine dominante Person, ein Vorbild gibt es nicht.

Was mögen Sie besonders an ihrem Job?
Ich liebe Stoffe und Formen, und dass Schnitte in Bewegung ganz anders sein können und einen anderen Effekt erzeugen als im Stillstand. Deswegen entwerfe ich auch gerne Theaterkostüme. Bei den Stoffen achte ich darauf, mit Naturstoffen wie Leinen, Baumwolle, Wolle, Seide und Leder zu arbeiten. Aber ich bin auch Innovationen gegenüber nicht abgeneigt. Es gibt neue Technologien, die zum Beispiel Metallfäden mit einarbeiten, wodurch der Stoff eine Erinnerungsfunktion bekommt. Er passt sich der Silhouette des Trägers und seinen Bewegungen perfekt an. Man kann wunderbar damit arbeiten, denn diese Stoffe behalten ihre Form, man kann sie enger oder weiter machen, wie man es eben möchte. Oft zerlege ich auch die Stoffe in ihre Einzelheiten und verwebe sie, sticke damit oder arbeite mit Applikationen.

Haben Sie auch im Ausland Erfolg?
Erfolg ja, aber eher nur, was die Anerkennung angeht. Ich habe 1994 eine Auszeichnung als „Das jüngste Talent des Jahres“ bei der internationalen Modemesse IGEDO gewonnen und wurde im Jahr 1996 zur Pariser Fashion Week eingeladen. Allerdings habe ich nie an Wettbewerben teilge- nommen. Nach der Wende hatte ich gehofft, dass Ungarn sich für den Modeweltmarkt öffnet, aber das ha- ben wir bis heute nicht geschafft. Auch bei der Eröffnung meines Sa- lons und meines Ladens war ich naiv davon ausgegangen, dass die Leute dann schon kommen würden. Das tun sie Gott sei Dank auch.

Und wer kommt? Eher Ungarn oder eher Ausländer?
Nun, es sind 80 bis 90 Prozent Ausländer, die in den Salon oder in den Laden kommen. Die Laufkundschaft im Laden fluktuiert natürlich, aber der Anteil an Ausländern bleibt gleich. Be- sonders gerne kommen Schweizer, Amerikaner, Niederländer und Deutsche zu mir. Aus den asiatischen Ländern sind es eigentlich nur Japaner. Es ist natürlich gut fürs Geschäft, aber ich finde es schon schade, dass nur so wenige Ungarn bei mir etwas bestellen.
Bilder: Aaron Taylor (3)

Haben Sie eine Erklärung dafür?
Die, die es sich leisten können, wollen einfach keine ungarischen Designer tragen, sondern kaufen lieber die Kleidung der westlichen Marken. Ich finde das sehr schade. Auch ist das Verhältnis zur Kleidung ein ganz anderes. Die Menschen aus dem Westen sind mutiger, was ihre Bekleidung an- geht, sie drücken damit ihre Persönlichkeit, Lebensqualität und Selbstsicherheit aus. Sie wissen, dass die Art und Weise, wie sie sich kleiden inzwischen zur Kommunikation dazugehört. Sie wollen ihre Individualität unterstreichen und freuen sich über Einzelstücke, die nur sie selbst tragen. Außerdem können sie in Ungarn immer noch vergleichsweise günstig Einzelanfertigungen erstehen.

Was ist der Unterschied zwischen dem Salon und dem Laden?
In den Salon kommen Leute, die sich ganz individuell ein besonderes Kleidungsstück anfertigen lassen wollen. Also muss ich dafür einen extra Schnitt machen, es braucht ein paar Anproben, viel Handarbeit... Im Laden hängen Einzelstücke von Größe 38 bis 42, die noch in der Größe an- gepasst werden können. Aber falls es dann immer noch nicht passt, kostet es nur 20 Prozent Aufpreis, einen bereits existierenden Schnitt individuell anzupassen.

Bis Größe 42, erstaunlich...
Wir sind eben nicht alle gleich. Und nicht schlank heißt noch lange nicht dick. Auch bei meinen Modeshows versuche ich immer, wenigstens zehn Mädchen mit Größe 40 bis 44 mit- laufen zu lassen. Das Problem ist da- bei nur, dass die Modelagenturen nur Mädchen mit Größe 36 oder 38 aus- bilden. Und nicht ausgebildet heißt, dass die Mädchen dann oft stolpern oder nicht gut präsentieren. Aber ich werde mir ein paar Gute dafür zusammen sammeln.

Wie entsteht bei Ihnen eine neue Kollektion?
Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe oft neue Ideen, aber auch Themen, die immer wiederkehren. „Let’s Missbehave“ ist etwas, was mich immer wieder beschäftigt. Ich habe mit diesen Stücken versucht, die Entwicklung der Frauen, ihre Rolle in der Gesellschaft und den Kampf, der die Gleichberechtigung möglich gemacht hat, auszudrücken. Ich habe immer Haute Couture, die sich durch viel Hand- arbeit auszeichnet, aber ich versuche auch, tragbare Kleidung für den All- tag zu entwerfen. Die praktisch und bequem, gleichzeitig von guter Quali- tät ist, in der man sich wohlfühlt. Design sollte für alle zugänglich sein.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Dass Design in Ungarn einen Platz in der Kultur, im Denken der Menschen und auch in der Politik bekommt. Es gibt keine wirkliche Designstraße in Budapest, die Fashion Street ist ein künstliches Gebilde, was auch die Ausländer schnell merken. Die Politik muss mehr für die Mode tun. Italien, Spanien und Frankreich haben es vorgemacht: Sie haben eine Fashion Week gegründet, Designer unterstützt und sind jetzt Moderiesen. Auch Portugal zieht nach. Ich denke, das alles wäre auch in Ungarn möglich.

Ines Gruber
Laden                                                  Haute Couture Salon 
Hajós utca 12.                                       Nyáry Pál utca 4. 
1056 Budapest                                      1056 Budapest
Tel.: +36 1 354 1878                              Tel.: +36 1 483 1140

ANIKÓ NÉMETH hat ab 1986 an der Ungarischen Kunsthochschule Innenarchitektur studiert und sich dann dem Entwerfen von Kleidung zugewandt. Bereits 1990 stellte sie in Wien und Budapest ihre erste Kollektion vor. Dem folgten weitere Modeshows in den Niederlanden, Norwegen und Österreich sowie 1992 die Gründung des Salons Manier Haute Couture. Németh designt verschiedenste Kostüme fürs Theater sowie Abendroben für Künstler, wie für die Oscar-nominierte Schauspielerin Erika Marozsán und die Sängerin Veronika Harcsa. Sie stellt ihre Kollektionen immer wieder auch auf dem Laufsteg vor. Weitere Informationen unter www.manier.hu.

Erschienen in der Budapester Zeitung Nr. 7, vom 14.-20. Februar 2011

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