Samstag, 19. Oktober 2013

Tibor Szántó


Ein Chocolatier in Ungarn
Schokolade aus und mit Leidenschaft

Etwa 40 Menschen befinden sich in einem hellen Saal. Auf einem weiß  gedeckten Tisch stehen für jeden ein Teller mit einem Messer und einer Tasse bereit; daneben ein Blatt Papier, auf dem viele Schokoladentäfelchen und Pralinen liegen. Außerdem vorhanden sind ein Projektor, ein Holzkasten mit geheimnisvollem Inhalt und ein Mann, der mit leuchtenden Augen von und über Schokolade erzählt. So sieht er aus, der Anfängerkurs von Chocolatier Tibor Szántó.

Bilder: Aaron Taylor (3)
Anfänglich scheint der Kurs etwas theoretisch und trocken, die Geschichte der Kakaobohne wird erklärt. Das weiß Tibor Szántó und fordert die Teilnehmer schmunzelnd dazu auf, die erste Kostprobe seiner Schokoladenkunst zu versuchen, Trinkschokolade aus dunklem, echten Kakaopulver. Schmeichelnd rinnt sie den Hals hinab. Nach diesem Gaumenschmaus erklärt der Chocolatier anhand von Bildern und unterfüttert mit geographischen Informationen, dass Kakaobäume einer besonderen Pflege bedürfen, in den Tropen, im sogenannten Kakao-Gürtel zu finden sind und als vier Arten und einige Unterarten existieren. Zweimal im Jahr bringen sie unterschiedliche Ernten. Jede dieser Sorten hat einen eigenen Geschmack, eigene Besonderheiten, die durch den Standort und Boden geprägt werden. „Ganz wie bei einem guten Wein oder bei Apfelsorten“, resümiert Szántó und erlaubt den gespannt Wartenden schließlich, die erste, köstlich im Mund schmelzende Praline zu genießen. 

Wie der Experte erklärt, wird die Qualität allerdings nicht nur durch den Standort geprägt: Auch die Behandlung während und nach dem Anbau ist wichtig. Einige Anbaugebiete wie Ghana und die Elfenbeinküste benutzen Chemikalien, um die Produktion zu steigern, und behandeln die Plantagenarbeiter schlecht. Obwohl aus diesen Gebieten fast 60 bis 70 Prozent der gesamten Welternte stammen, kauft Szántó „von diesen Anbietern nicht“, er legt Wert auf „Fair Trade und Qualität“. Es ist jedoch sehr interessant zu erfahren, dass in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika 80 bis 90 Prozent der Ernte angekauft und verarbeitet werden. Nur wenige Gebiete wie Mexiko bauen fast ausschließlich für den eigenen Verzehr an. Ein sehr wichtiger Schritt in der Kakaoverarbeitung ist die Fermentation, das Trocknen in der Sonne, das zwischen fünf und 20 Tagen dauern kann. Die Qualität des Produkts wird von der Dauer bestimmt, „je länger der Trockenprozess andauert, umso besser ist die Kakaobohne“.

Während der biologischen Exkursion wird sich langsam an den Schokoladensorten auf dem Blatt Papier entlang getastet. Man stellt fest: Kakaobohnen sind an sich sehr trocken, haben jedoch einen angenehmen Eigengeschmack. Schokolade aus Ecuador schmeckt anders als diejenige aus Trinidad und schon nach wenigen Stückchen ist man – leider – angenehm gesättigt. „Das liegt an den Antioxidantien in der Schokolade“, weiß Szántó. Diese seien der Grund, warum Schokolade sehr gesund ist. „Sie sättigt, macht glücklich und hält jung.“



Nun erfährt der gespannte Zuhörer, dass der Holländer Coenraad Johannes van Houten 1828 das Kakaopulver entdeckte, warum man ihm Kakaobutter beigeben muss, und dass der Schweizer Schokoladenhersteller Rudolphe Lindt das Conchieren erfunden hat und damit die heute übliche zartschmelzende Konsistenz der Schokolade erzielte. Der kurze Gang durch die Geschichte wird mit Hinweisen auf die Produktion von guter Schokolade und weiteren Proben begleitet. Auch die Zusammensetzung der verschiedenen Sorten wird erklärt und betont, dass man Schokolade in vier Formen gießen kann: „Tafeln, Trüffel, Eier und Bonbons.“ Alles andere, wie Schokoladennikoläuse in menschlicher Form, denen man den Kopf abbeißt, „ist nicht normal“ findet Szántó. Auch sollten die anwesenden Eltern in Zukunft mehr darauf achten, welche Art Schokolade sie ihren Kindern in die Hände geben, denn eine gute Tafel enthält neben 20 bis 40 Prozent Zucker ein wenig Bourbon-Vanille und 60 bis 80 Prozent Kakaomasse und Kakaobutter. Bei Milchschokolade sinkt der Anteil der Kakaomasse und Kakaobutter auf 30 bis 40 Prozent, anstatt dessen wird Milchpulver hinzugefügt. „Kinder können gute und schlechte Schokolade unterscheiden. Und schlechte hat meist noch andere Inhaltsstoffe, die nicht gesund sind“, warnt der Profi.


Die Teilnehmer haben die Einleitung überstanden. Neugierde wird mit herumgereichten Kakaobohnen – geröstet und ungeröstet, das macht einen großen Unterschied – den Schalen der Frucht und Kakaobutter-Proben gestillt, einige weitere Pralinen und Täfelchen werden verzehrt. Nun geht es über zum Programmpunkt „professionelle Verköstigung“. Etwas spät vielleicht, denn – obwohl anfangs der Vorsatz bestand, all die Köstlichkeiten restlos zu vernichten – müssen sich die meisten jetzt schweren Herzens selbst bremsen und kosten nur noch kleine Stückchen in der Hoffnung, so doch noch alles probieren zu können.  
Ähnlich wie ein guter Wein hat auch gute Schokolade Erkennungsmerkmale, die man mit allen Sinnen erfassen kann, erklärt Chocolatier Szántó. So muss die Oberfläche glänzend und für die Finger glatt sein, denn dann hatte die Schokolade die richtige Temperatur bei der Zubereitung. Sie sollte einen köstlichen Geruch verströmen; vor dem Kosten sollte man neben dem Ohr außerdem ein Stückchen abbrechen. Wenn ein scharfes Knacken ertönt, ist die Kristallstruktur genau richtig. Und das Wichtigste: das Kosten an sich. Niemals sollte man die Schokolade einfach herunterschlingen, sondern sie sich genussvoll auf der Zunge zergehen lassen, damit sie den gesamten Mundraum ausfüllt. „Was schmecken Sie jetzt?“, fragt der Lehrer gespannt. „Etwas Saures?“ ist die vorsichtige und offenbar gewünschte Antwort. „Genau“ strahlt Szántó und erklärt, dass Schokolade genauso wie Wein Tanin enthält und damit natürlich auch Säure.



Jedes Stückchen wird jetzt auf Herz und Nieren auf seine Kopfnote geprüft. Jedes Mal aufs Neue erfreut es den Chocolatier, wenn die Kursteilnehmer überraschend eine Beerennote oder etwas Kaffee herausschmecken. Diese Kopfnoten können dann mit verschiedenen anderen Kräutern oder Blumen kombiniert werden, die allerdings niemals den Eigengeschmack der Schokolade überlagern sondern ihn eher verstärken und verbessern sollen. Zu der Schokolade aus „Ecuador passen hervorragend östliche Kräuter wie Muskatnuss, Pfeffer und Safran. Andere entwickeln mit südlichen Früchten wie Himbeere, Orange oder Blumen wie Veilchen, Rosen und Jasmin einen hervorragenden Geschmack“. Das probiere er ständig aus, erzählt Szántó; immer mehr möchte er einheimische Kräuter wie Tihanyer Lavendel und Mandeln aus der Umgebung benutzen und hat auch schon einen eigenen Kräutergarten dafür angelegt.


Erschöpft von den vielen Eindrücken, dem Erzählten und den Genüssen, glaubt man dem Chocolatier nach zwei Stunden gern, dass die Welt der Schokolade eine unglaubliche und noch unerforschte Fülle von Aromen und Geschmäckern enthält. Stets wichtig bei seiner Arbeit mit ihr ist Szántó, dass er seine Kreationen in Eigenregie herstellt. „Damit die Qualität gewahrt bleibt“ und sie nicht zur „Massenware werden“.
Ines Gruber

Tibor Szántó

Rákóczi Ferenc utca 31

2310 Szigetszentmiklós

Tel.: + 36 70 512 1084

www.szantotibor.com

Kurse in Ungarisch und Englisch siehe Webseite
Anfänger: 4.900 Forint
Fortgeschrittene: 6.900 Forint

TIBOR SZÁNTÓ schloss 2004 die Sommelierschule in Ungarn ab, besuchte danach die italienische Gastronomieschule La Cultura d’Italia und die Weinschule in Budafok. Er nahm an einigen Kochkursen mit internationaler Küche teil, absolvierte eine Pilzschule, begann 2008 seine Ausbildung beim Wine and Spirit Education Trust (eine Schule für Weinkenner), 2009 den Diplomkurs in der Weinakademie Östereich WSET und lernte ab 2010 in Belgien an der Schokoladenakademie. Im Jahr 2006 gründete Szantó seine Schokoladenwerkstatt und produziert seit 2007 regelmäßig Leckereien. Im gleichen Jahr startete er seine Schokoladenkurse, die seit 2011 auch in englischer Sprache besucht werden können. Szántó schrieb und schreibt unter anderem für das Online-Magazin des Nõk Lapja, Sanoma Startlap und für das Gourmet-Online-Magazin Vinoport. Des Weiteren ist er Mitglied bei Slow-Food und dem Terroir Club. 2011 erreichte er beim Dining Guide den zweiten Platz unter den Chocolatiers.

Erschienen in der Budapester Zeitung Nr. 16, vom 18.-24. April 2011

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