Ein Chocolatier in Ungarn
Schokolade
aus und mit Leidenschaft
Etwa 40
Menschen befinden sich in einem hellen Saal. Auf einem weiß gedeckten
Tisch stehen für jeden ein Teller mit einem Messer und einer Tasse bereit;
daneben ein Blatt Papier, auf dem viele Schokoladentäfelchen und Pralinen
liegen. Außerdem vorhanden sind ein Projektor, ein Holzkasten mit
geheimnisvollem Inhalt und ein Mann, der mit leuchtenden Augen von und über
Schokolade erzählt. So sieht er aus, der Anfängerkurs von Chocolatier Tibor
Szántó.
Anfänglich
scheint der Kurs etwas theoretisch und trocken, die Geschichte der Kakaobohne
wird erklärt. Das weiß Tibor Szántó und fordert die Teilnehmer schmunzelnd dazu
auf, die erste Kostprobe seiner Schokoladenkunst zu versuchen, Trinkschokolade
aus dunklem, echten Kakaopulver. Schmeichelnd rinnt sie den Hals hinab. Nach
diesem Gaumenschmaus erklärt der Chocolatier anhand von Bildern und
unterfüttert mit geographischen Informationen, dass Kakaobäume einer besonderen
Pflege bedürfen, in den Tropen, im sogenannten Kakao-Gürtel zu finden sind und
als vier Arten und einige Unterarten existieren. Zweimal im Jahr bringen sie
unterschiedliche Ernten. Jede dieser Sorten hat einen eigenen Geschmack, eigene
Besonderheiten, die durch den Standort und Boden geprägt werden. „Ganz wie bei
einem guten Wein oder bei Apfelsorten“, resümiert Szántó und erlaubt den
gespannt Wartenden schließlich, die erste, köstlich im Mund schmelzende Praline
zu genießen.
Wie der
Experte erklärt, wird die Qualität allerdings nicht nur durch den Standort
geprägt: Auch die Behandlung während und nach dem Anbau ist wichtig. Einige
Anbaugebiete wie Ghana und die Elfenbeinküste benutzen Chemikalien, um die
Produktion zu steigern, und behandeln die Plantagenarbeiter schlecht. Obwohl
aus diesen Gebieten fast 60 bis 70 Prozent der gesamten Welternte stammen,
kauft Szántó „von diesen Anbietern nicht“, er legt Wert auf „Fair Trade und
Qualität“. Es ist jedoch sehr interessant zu erfahren, dass in Europa und den
Vereinigten Staaten von Amerika 80 bis 90 Prozent der Ernte angekauft und
verarbeitet werden. Nur wenige Gebiete wie Mexiko bauen fast ausschließlich für
den eigenen Verzehr an. Ein sehr wichtiger Schritt in der Kakaoverarbeitung ist
die Fermentation, das Trocknen in der Sonne, das zwischen fünf und 20 Tagen
dauern kann. Die Qualität des Produkts wird von der Dauer bestimmt, „je länger
der Trockenprozess andauert, umso besser ist die Kakaobohne“.
Während der
biologischen Exkursion wird sich langsam an den Schokoladensorten auf dem Blatt
Papier entlang getastet. Man stellt fest: Kakaobohnen sind an sich sehr
trocken, haben jedoch einen angenehmen Eigengeschmack. Schokolade aus Ecuador
schmeckt anders als diejenige aus Trinidad und schon nach wenigen Stückchen ist
man – leider – angenehm gesättigt. „Das liegt an den Antioxidantien in der
Schokolade“, weiß Szántó. Diese seien der Grund, warum Schokolade sehr gesund
ist. „Sie sättigt, macht glücklich und hält jung.“
Nun erfährt
der gespannte Zuhörer, dass der Holländer Coenraad Johannes van Houten 1828 das
Kakaopulver entdeckte, warum man ihm Kakaobutter beigeben muss, und dass der
Schweizer Schokoladenhersteller Rudolphe Lindt das Conchieren erfunden hat und
damit die heute übliche zartschmelzende Konsistenz der Schokolade erzielte. Der
kurze Gang durch die Geschichte wird mit Hinweisen auf die Produktion von guter
Schokolade und weiteren Proben begleitet. Auch die Zusammensetzung der
verschiedenen Sorten wird erklärt und betont, dass man Schokolade in vier
Formen gießen kann: „Tafeln, Trüffel, Eier und Bonbons.“ Alles andere, wie
Schokoladennikoläuse in menschlicher Form, denen man den Kopf abbeißt, „ist
nicht normal“ findet Szántó. Auch sollten die anwesenden Eltern in Zukunft mehr
darauf achten, welche Art Schokolade sie ihren Kindern in die Hände geben, denn
eine gute Tafel enthält neben 20 bis 40 Prozent Zucker ein wenig
Bourbon-Vanille und 60 bis 80 Prozent Kakaomasse und Kakaobutter. Bei
Milchschokolade sinkt der Anteil der Kakaomasse und Kakaobutter auf 30 bis 40
Prozent, anstatt dessen wird Milchpulver hinzugefügt. „Kinder können gute und
schlechte Schokolade unterscheiden. Und schlechte hat meist noch andere
Inhaltsstoffe, die nicht gesund sind“, warnt der Profi.
Die
Teilnehmer haben die Einleitung überstanden. Neugierde wird mit herumgereichten
Kakaobohnen – geröstet und ungeröstet, das macht einen großen Unterschied – den
Schalen der Frucht und Kakaobutter-Proben gestillt, einige weitere Pralinen und
Täfelchen werden verzehrt. Nun geht es über zum Programmpunkt „professionelle
Verköstigung“. Etwas spät vielleicht, denn – obwohl anfangs der Vorsatz
bestand, all die Köstlichkeiten restlos zu vernichten – müssen sich die meisten
jetzt schweren Herzens selbst bremsen und kosten nur noch kleine Stückchen in
der Hoffnung, so doch noch alles probieren zu können.
Ähnlich wie ein
guter Wein hat auch gute Schokolade Erkennungsmerkmale, die man mit allen
Sinnen erfassen kann, erklärt Chocolatier Szántó. So muss die Oberfläche
glänzend und für die Finger glatt sein, denn dann hatte die Schokolade die richtige
Temperatur bei der Zubereitung. Sie sollte einen köstlichen Geruch verströmen;
vor dem Kosten sollte man neben dem Ohr außerdem ein Stückchen abbrechen. Wenn
ein scharfes Knacken ertönt, ist die Kristallstruktur genau richtig. Und das
Wichtigste: das Kosten an sich. Niemals sollte man die Schokolade einfach
herunterschlingen, sondern sie sich genussvoll auf der Zunge zergehen lassen,
damit sie den gesamten Mundraum ausfüllt. „Was schmecken Sie jetzt?“, fragt der
Lehrer gespannt. „Etwas Saures?“ ist die vorsichtige und offenbar gewünschte
Antwort. „Genau“ strahlt Szántó und erklärt, dass Schokolade genauso wie Wein
Tanin enthält und damit natürlich auch Säure.
Jedes
Stückchen wird jetzt auf Herz und Nieren auf seine Kopfnote geprüft. Jedes Mal
aufs Neue erfreut es den Chocolatier, wenn die Kursteilnehmer überraschend eine
Beerennote oder etwas Kaffee herausschmecken. Diese Kopfnoten können dann mit
verschiedenen anderen Kräutern oder Blumen kombiniert werden, die allerdings
niemals den Eigengeschmack der Schokolade überlagern sondern ihn eher
verstärken und verbessern sollen. Zu der Schokolade aus „Ecuador passen
hervorragend östliche Kräuter wie Muskatnuss, Pfeffer und Safran. Andere
entwickeln mit südlichen Früchten wie Himbeere, Orange oder Blumen wie
Veilchen, Rosen und Jasmin einen hervorragenden Geschmack“. Das probiere er
ständig aus, erzählt Szántó; immer mehr möchte er einheimische Kräuter wie
Tihanyer Lavendel und Mandeln aus der Umgebung benutzen und hat auch schon
einen eigenen Kräutergarten dafür angelegt.
Erschöpft von
den vielen Eindrücken, dem Erzählten und den Genüssen, glaubt man dem
Chocolatier nach zwei Stunden gern, dass die Welt der Schokolade eine
unglaubliche und noch unerforschte Fülle von Aromen und Geschmäckern enthält.
Stets wichtig bei seiner Arbeit mit ihr ist Szántó, dass er seine Kreationen in
Eigenregie herstellt. „Damit die Qualität gewahrt bleibt“ und sie nicht zur
„Massenware werden“.
Ines Gruber
Tibor Szántó
Rákóczi
Ferenc utca 31
2310
Szigetszentmiklós
Tel.: + 36 70
512 1084
www.szantotibor.com
Kurse in
Ungarisch und Englisch siehe Webseite
Anfänger:
4.900 Forint
Fortgeschrittene:
6.900 Forint
TIBOR SZÁNTÓ schloss 2004 die Sommelierschule in Ungarn
ab, besuchte danach die italienische Gastronomieschule La Cultura d’Italia und
die Weinschule in Budafok. Er nahm an einigen Kochkursen mit internationaler
Küche teil, absolvierte eine Pilzschule, begann 2008 seine Ausbildung beim Wine
and Spirit Education Trust (eine Schule für Weinkenner), 2009 den Diplomkurs in
der Weinakademie Östereich WSET und lernte ab 2010 in Belgien an der Schokoladenakademie.
Im Jahr 2006 gründete Szantó seine Schokoladenwerkstatt und produziert seit
2007 regelmäßig Leckereien. Im gleichen Jahr startete er seine
Schokoladenkurse, die seit 2011 auch in englischer Sprache besucht werden
können. Szántó schrieb und schreibt unter anderem für das Online-Magazin des
Nõk Lapja, Sanoma Startlap und für das Gourmet-Online-Magazin Vinoport. Des
Weiteren ist er Mitglied bei Slow-Food und dem Terroir Club. 2011 erreichte er
beim Dining Guide den zweiten Platz unter den Chocolatiers.
Erschienen in der Budapester
Zeitung Nr. 16, vom 18.-24. April 2011
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